Mobiles Ehrenamt bald auch in Deutschland?!

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Vor gut einem Monat verkündeten Betterplace und Vodafone eine drei-jährige Partnerschaft zum Aufbau einer mobilen Plattform für das Ehrenamt in Deutschland. Nun soll sie also Realität werden, die schöne neue Welt des sporadischen Kurzzeitengagements. Mit der Unterstützung durch Vodafone, das in seiner Pressemitteilung von einer „der größten Investitionen in ein Sozialunternehmen, die es in Deutschland bisher gab“ spricht, soll das Prinzip Betterplace nun auch auf das Ehrenamt gemünzt werden. So meint Till Behnke, Chef der Spendenplattform:

Wichtig ist, dass auch das Zeitspenden genauso einfach, direkt und transparent möglich sein wird, wie es jetzt bereits das Geldspenden ist. Nur dann können wir die Einstiegshürden senken und mehr Menschen — gerade auch jüngere — für das Ehrenamt begeistern.

Offenbar spricht Behnke hier von den Friktionskosten, die rings um freiwilliges Engagement und Ehrenamt bisweilen anfallen; Kosten, die in der Tat gesenkt werden sollten. Wie bei Spenden, so die nahliegende Annahme, dürften also auch beim Freiwilligenengagement die Abbruchquoten umso größer werden, je mehr Klicks es bis zur (selbstverständlich konkludenten) Engagementvereinbarung braucht. Dass freiwilliges Engagement und Ehrenamt aber nicht nur Spenden ist und mir auch zu Abbruchquoten bislang nichts bekannt ist, rutscht dabei leider unter den Tisch. Fakt ist, wer sich freiwillig Engagiert tut das mit Haut und Haar, mit Kopf und Körper — also bei Weitem nicht nur mit dem eigenen (Zeit-) Budget, sondern oftmals noch darüber hinaus.
Doch wie dem auch sei, den Begriff der Zeit- und Skillspende hatte ich selbst ja auch einige Zeit gebraucht, um zu verdeutlichen, dass es zwischen Geld- und Sachspenden und dem sporadischen Kurzzeitengagement einige Parallelen gibt. Als vielmehr denn einer brauchbaren Metapher will ich die „Zeitspende“ hier also nicht verstehen, vor allem deshalb nicht, weil ich das Terrain polarisierender PR mit rhetorischen Überhöhungen (eine der größten Investitionen in ein Sozialunternehmen …) noch nicht verlassen habe. Betterplace ist toll und Vodafone auch, steht da in der Pressemitteilung, die vor allem in Technikmagazinen gerade die Netz-Runde macht. Passt ja auch dort hin, schließlich soll es eine neue App geben.
Nun aber Spaß und Presse bei Seite. Was wird sie bringen, die neue Smartphone-App für das mobile Ehrenamt? Bereits im März dieses Jahres hatte ich über ein britisches Projekt mit frappierend ähnlichem Antlitz berichtet und gefragt, wie sich das mobile Ehrenamt auch in Deutschland verwirklichen ließe. Gut, ich habe in den letzten Jahren nicht nur einmal Mal danach gefragt, wie neue Formen des freiwilligen Engagements in den Sphären deutscher Freiwilligenarbeit angeregt werden könnten, doch sei dieser Artikel nun exemplarisch herausgegriffen. Seinerzeit schrieb ich:

[Mir] scheinen die Aufgaben für Kurzzeit-Engagierte wohl die höchste Hürde für die Realisierung der mobilen Freiwilligenarbeit — wie übrigens auch zur Realisierung von Online- und speziell Mico-Volunteering.

Und diese Herausforderung besteht auch weiterhin. In vielen Initiativen und Projekten hapert es schlicht am Freiwilligenmanagement. Ob haupt- oder ehrenamtlich beschäftigt, nicht oft gibt es Mitstreiterinnen oder Mitstreiter, die zwischen immer gierigen Organisationen und interessierten Außenstehenden mit eigenen Bedürfnissen, Interessen, Zielen und Fähigkeiten vermitteln möchten, weil das eben auch einem fortwährenden Kampf gegen Windmühlen gleich kommt, der seltener anerkannt als mit Kopfschütteln bedacht wird. Besonders dann, wenn es darum geht, einen steten Strohm an Kurzzeitengagements für völlig fremde ‚Da-und-Fort-Volunteers‘, für Passanden und BVG-Passagiere zu entwerfen, wird der gute Wille an seine Grenzen stoßen. Wie gesagt, für bereits Engagierte scheint das knappe Zeitbudget gar nicht das vordringliche Problem zu sein (was übrigens auch die empirischen Befunde zur Freiwilligenarbeit in Deutschland zeigen). Freiwillige und Ehrenamtliche wollen etwas in ihrem Lebensumfeld bewirken und sind dementsprechend auch bereit, viel Zeit und zuweilen auch nicht wenig Geld in ihr Freiwilligenengagement zu investieren. Schnell noch zu erledigen, was auch der Micro-Volunteer von der Bushaltestelle machen könnte, ist da jedenfalls das geringere Problem.
Wenn also nun eine Mobile-App für’s mobile Ehrenamt, die Behnkes nicht wirklich aussagekräftigen Pecha Kucha Folien vom letzten Themennachmittag im Forum der Friedrich Ebert Stiftung offenbar neben Engagementvermittlern und -organisationen stehen soll — also mit Freiwilligenmanagement nichts am Hut hat — im Kern als schwarzes Brett mit Navi entworfen wird, frage ich mich, was wohl mehr bringt: Hölzerne Engagementbretter an der Bushaltestelle oder digital gemappte Engagementangebote? Momentan tendiere ich zu den Holzbrettern als etwas kostengünstigere aber funktionale Variante, mit denen auch jene Menschen erreicht werden könnten, die gar kein Smartphone haben, sich aber dennoch für ein Engagement zwischendurch erwärmen können.
PS: Von meinem britischen Kollegen Ben Matthews habe ich gerade noch erfahren, dass die +U App im sonst eher engagementfreundlichen Großbritanien nicht all zu hohe Wellen schlägt: “So no one (as far as I can see) used it”. Besser ist wohl die Orange Do-some-good-App, bei der durch die Kooperation mit vielen unterschiedlichen Nonprofits ​”more momentum” ​erzeugt werden konnte. 

Kommentare

  • Ich weiß nicht, ob ich das Projekt von betterplace/Vodafone richtig verstanden habe: Nehmen wir an, ich sitze an der Bushaltestelle. Ich schalte die App ein und auf einer Karte werden Punkte in meiner unmittelbaren Umgebung markiert, hinter denen sich Engagementangebote verbergen. Folglich wähle ich mir, weil ich gerade etwas Zeit habe, ein Engagement aus (Bspw. 1 h Vorlesen im Altersheim). Und dann? Gehe ich einfach zu der entsprechenden Einrichtung und lese vor? Oder werde ich zunächst an jemanden vermittelt, der mit mir einen Engagementtermin/Erstgespräch vereinbart? …
    Ich stelle mir gerade vor, wie das praktisch aussehen soll:
    Szenario 1: An die Tür meiner Einrichtung klopfen stündlich (wie am Fließband) immer andere Freiwillige („weil sie die App aktiviert haben und gerade etwas Zeit haben“). Ich lasse sie herein, setze sie in die Nachmittagsrunde des Seniorentreffs und drücke ihnen ein Buch in die Hand, das sie vorlesen sollen. Nach einer Stunde wird das Buch zusammengeklappt, es werden Dankesworte getauscht, der Freiwillige zieht wieder von dannen.
    Szenario 2: Die Einrichtung wartet auf Freiwillige, die sich für das ausgeschriebene Engagementangebot interessieren. Weil aber in der Umgebung keiner die App aktiviert hat, findet sich niemand, der das Angebot ausführen möchte. Folglich fällt das Angebot ins Wasser und die Senioren werden informiert: „Heute kein Vorlesen“.
    Szenario 3: wäre wie Szenario 1, aber mit dem Unterschied, dass sich aus diesem einmaligen kurzen Engagement („Schnupper-Engagement“) ein langfristiges Engagement bildet (dem Freiwilligen gefällt das Engagement und er kommt von nun an regelmäßig wieder).
    Szenario 4: Der Freiwillige sucht sich über die App ein Engagementangebot aus, das ihn interessiert, und wird anschließend an die Einrichtung vermittelt. Der zuständige Freiwilligenmanager vereinbart mit dem Freiwilligen auf dem klassischen Weg einen Termin fürs Erstgespräch/Schnupper-Engagement etc.
    Zu Szenario 1 und 2: will ich gar nicht viel sagen, außer: mit freiwilligem Engagement (also solches mit Herz und Verstand) hat das m. E. nichts zu tun.
    Zu Szenario 3 und 4: Hier wäre die App auf den ersten Blick wohl nichts anderes, als eine reine Vermittlungsagentur. Der große Unterschied zwischen der App und dem klassischen schwarzen Brett erschließt sich mir nicht…
    Aber vielleicht habe ich die App auch fehl-interpretiert?!
    Wobei ich eine Frage noch ganz interessant finde: Was hat Vodafone von der Investition? Reine Menschenliebe/PR wird es wohl eher nicht sein… (Welche Zugriffsrechte gestattet der App-Nutzer dem Anbieter? Welche (persönlichen) Daten werden durch die Nutzung der App an Vodafone übermittelt? etc.)

    • Hallo Julia, von mir ganz kurz von hinten nach vorn:
      (1) Mir ist nicht bekannt, ob Vodafone hier die Daten anzapft. Ich kann’s mir aber nicht vorstellen und würde jetzt mal unterstellen, dass dem nicht so ist.
      (2) Die App soll — soweit bekannt — engagementbreite (junge) Menschen mit Smartphone ansprechen. Dass diese aber nur mit der Nase im Mobiltelefon oder Tablet durch die Gegend laufen, kann ich mir nicht vorstellen. Dementsprechend wird die App wohl noch weiter Funktionen (Navigation, Gamification, Community usf.) anbieten. Meine Formulierung “schwarze Brett mit Navi” ist etwas überspitzt! Die mobile Kartierung hat ja zumindest den Vorteil, dass man das schwarze Brett auch schon während der Busfahrt (also ortsunabhängig) betrachten kann.
      (3) Wie das Vodafone Institut heute noch auf Twitter klargestellt hat, soll die App ein Angebot für Engagementvermittler und Freiwilligenorganisationen sein — wenn man so will, ein Tool für deren Arbeit. Insofern ist es schon etwas anderes als eine Engagementagentur.
      (4) Deine Beispiele sind vielleicht etwas grob geschnitzt :-). Vielleicht gibt es Leute, die sich vorstellen können, alte Leute und Kinder stunden- oder minutenweise zu betreuen, doch sind die m.E. eher die Ausnahme als die Regel. Eher lässt sich Kurzzeitengagement an den Rändern der Organisationen — also weniger seniblen Arbeitsbereichen — denken. Das schließt Engagement mit Herz und Verstand nicht aus.
      Der zentrale Punkt ist die Generierung von Engagementangeboten für Kurzzeitengagierte. Ohne fundierte Beratungsarbeit oder andere ‘Anregungen’ — die die App als Tool ja nicht anbieten kann — sehe ich hier kaum Chancen.

  • Lieber Hannes, liebe Julia, liebe Interessierte,
    wir bei betterplace freuen uns immer, wenn unsere Aktivitäten eure Aufmerksamkeit finden und dabei auch kritisch diskutiert werden. Gerade für diese neuen Aspekte sind wir sehr dankbar, wollen wir doch eine Plattform sein, die einen tatsächlichen Mehrwert für den sozialen Sektor darstellt.
    betterplace war von Beginn an als Marktplatz für Geld-, Sach- und Zeitspenden ausgelegt. In den letzten 5 Jahren haben sich diese Angebote unterschiedlich schnell entwickelt und betterplace wird aktuell vor allem als Geldspendenplattform wahrgenommen.
    Die Zusammenarbeit mit Vodafone ermöglicht es uns nun, die Plattform an zwei Stellen weiterzuentwickeln: Das Prinzip Zeitspenden neu zu konzipieren und als gleichwertiges Angebot neben der Geldspende zu positionieren, sowie das Gesamtangebot von betterplace für die Nutzung auf mobilen Endgeräten zu optimieren. Es handelt sich also um viel mehr als nur das „Entwickeln einer mobilen App für die Ehrenamtsvermittlung“.
    Wir sehen ein gemeinsames Interesse an einem neuen Impuls für die Engagementlandschaft welches Vodafone und betterplace teilen. Bei der Gestaltung ist die Rollenverteilung aber klar: Vodafone ermöglicht uns die Weiterentwicklung unserer Plattform. Die Gestaltungsfreiheit liegt bei uns genauso wie die Daten unserer Nutzer, die wir in der Vergangenheit und auch in der Zukunft nicht weiterreichen.
    Wir wollen sowohl das „klassische Ehrenamt“ in einer zeitgemäßen und nutzerfreundlichen Form präsentieren, als auch Schritt für Schritt neue Formen des Engagements (z.B. einmalig, orts- und zeitungebunden, organisationsunabhängig, etc.) in der Gesellschaft etablieren. Die dreijährige Unterstützung ermöglicht es uns, hier auch das eine oder andere auszuprobieren und dabei den notwendigen langen Atem zu haben. Diesen alten und neuen Engagementformen können wir zudem in der Partnerschaft ein Mehr an Aufmerksamkeit verschaffen, welches wir mit unseren Bordmitteln im Bereich Marketing (die sind nämlich seit Gründung exakt null Euro) niemals erreichen könnten.
    Das Thema Contentgenerierung im Bereich Ehrenamt aber auch bei den Aufgaben für ein eher unverbindliches Engagement habt ihr genau wie wir als eine der ganz großen Herausforderungen identifiziert. Hier arbeiten wir gerade mit Hochdruck an unterschiedlichen Ansätzen, die von technischen Anbindungen von Datenbanken, über manuelle Einstellung bis hin zu viralen Verbreitungskonzepten reichen. Kapitulieren vor dieser Herausforderung, bevor es überhaupt losgeht, das ist nicht betterplace.
    Wir sind aber auch nicht diejenigen, die meinen in einem jahrzehntelang gewachsenen Bereich wie der Vermittlung von freiwillig Engagierten plötzlich alles anders, effizienter und besser machen zu können.
    Unter anderem aus diesem Grund führen wir unzählige und zumeist sehr positive Gespräche mit Akteuren im Sektor, die uns an ihrer Erfahrung teilhaben lassen. Gleichzeitig können wir so auch unser Selbstverständnis vermitteln, dass wir niemanden ersetzen möchten, sondern ein zusätzliches Angebot für Organisationen aber auch bestehende Vermittler sind. Die Qualitätssicherung im Vermittlungsprozess wollen und können wir gar nicht übernehmen, sondern lediglich eine zeitgemäße und funktionierende Plattform sein, die beide Seiten zusammenbringt. Und dabei liegt uns nichts ferner als mit einem gigantischen Medienbudget für ein gewissen Zeitraum den Organisationen lediglich in großer Anzahl Kandidaten „vor die Tür spülen“, die für die zu besetzenden Stellen gar nicht geeignet sind.
    Wir freuen uns auf einen weiteren Austausch aber auch eine kritische Begleitung durch euch und weitere Interessierte. Daher laden wir alle ein, gerne auch den direkten Kontakt mit uns zu suchen.
    Für betterplace, Ben Spoden (Projektleiter mobile und Ehrenamt)

    • Hallo Ben, vielen Dank für deine ausführliche Darstellung.
      Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu eurer Partnerschaft mit Vodafone. Mäzen zu haben, die Geld für die Aufwertung des eigenen Angebotes geben, ist eine gute Sache, insbesondere im Bereich Engagementförderung und Ehrenamt. Betterplace.org profitiert davon sicherlich in hohem Maße.
      Trotz — oder gerade wegen — deiner Ausführungen, Ben, bleibe ich ob der positiven Effekte für die Engagementförderung in Deutschland aber skeptisch. Die Förderung neuer Wege zum freiwilligen Engagement bildet offenbar nur einen sehr kleinen Teil eurer Bemühungen. Das Hauptaugenmerk gilt, wie du schreibst, der breiteren Marktpositionierung von Betterplace, das mit der (mobilen) Präsentation des ‘klassischen Ehrenamts’ “in einer zeitgemäßen und nutzerfreundlichen Form” einher gehen soll. Ich vermag (noch) nicht zu sehen, wie das zu “neuen Impulsen für die Engagementlandschaft” führen soll.
      Für diesen Blog “die wunderebare Welt”, Hannes Jähnert 🙂

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