Seit einer Woche herrscht Ausnahmezustand – nicht nur in Deutschland. Das soziale
Leben wird heruntergefahren: Bars und Restaurants, Kitas und Schulen wurden
geschlossen, Altenheime und Krankenhäuser lassen Angehörige nicht mehr rein und
allen Ortens wird an die Vernunft der Menschen appelliert: #FlatteningtheCurve.
»Es fehlen Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind«
sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer außerordentlichen Ansprache zur Verbreitung des Corona-Virus.
»Die Lage ist ernst!« Das Virus ist hoch ansteckend und sehr gefährlich. Besonders
ältere Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen gehören laut
Robert Koch Institut zu den Risikogruppen, bei denen ein schwerer Verlauf bei
Erkrankung zu erwarten ist.
Abstand halten ist das dringende Gebot der Stunde, Ausgangssperren
bereits ernsthaft im Gespräch. Mit Hochdruck wird digitalisiert was zu
digitalisieren geht, um den Betrieb irgendwie am Laufen zu halten. Was aber
geschieht mit den »Begegnungen, die sonst selbstverständlich sind«, wenn (vorübergehend)
alles was geht auf remote umgestellt wird?
Einsamkeit: Mögliche Folgen der Krise
Schon 2013 hatte ich mich einmal mit der Frage beschäftigt,
warum wir uns überhaupt noch im ›Real Life‹ treffen, wenn wir die Welt doch in
der Hosentasche mit uns herumtragen. Mein Fazit damals: Weil
alles andere noch nicht »in« ist. Zwar gibt es durchaus Menschen, die ›Distant
Socializing‹ auch ohne Corona-Krise praktizieren (müssen), die sind aber nicht Mainstream.
Die meisten Menschen haben heute ihre Schwierigkeiten mit Beziehung auf Distanz,
weil sie es schlicht nicht geübt haben.
Die möglichen Folgen dieser Ungeübtheit bei einer
plötzlichen Isolation beschreibt
Jamil Zaki von der School of Humanities and Sciences der Stanford University
recht anschaulich:
… loneliness is psychologically poisonous; it increases sleeplessness, depression, as well as immune and cardiovascular problems. In fact, chronic loneliness produces a similar mortality risk to smoking 15 cigarettes a day.
Das Problem hinter der Frage, was mit sozialen Beziehungen
geschieht, wenn sie nur noch remote gepflegt werden können, ist also kein
banales: Je länger die Krise dauert desto mehr werden Lösungen gebraucht, die
Einsamkeit im großen Stil entgegenwirken, um so zu verhindern, dass der Corona-Krise
eine Welle psychischer und mentaler Erkrankungen folgt.
Und das Problem könnte sich noch verschärfen: Wenn Träger
der Sozialen Arbeit die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise nicht überstehen,
werden Hilfs- und Beratungsangebote wegbrechen, die zur Bewältigung der
sozialen, psychischen und mentalen Folgen der Krise dringend gebraucht werden.
Geselligkeit auf Distanz: Worum geht’s?
Geselligkeit (›Socializing‹) ist kein ganz einfach zu bestimmender
Gegenbegriff zu Einsamkeit. Es ist eher ein subjektives Gefühl von Verbundenheit
als eine einzelne soziale Praxis. Ich bringe es mit gelingenden (Welt-) Beziehungen
und horizontaler Resonanz sowie Gemeinschaft und Identität in Verbindung.
Philosophisch betrachtet ist Geselligkeit eine Form der
Tätigkeit, die Hannah
Arendt »Handeln« nannte und von »Arbeiten« und »Herstellen« unterschied:
Das Handeln ist die einzige Tätigkeit der Vita activa, die sich ohne die Vermittlung von Materie, Material und Dingen direkt zwischen Menschen abspielt (ebd. 2011: 17).
Es ist, wie sie mit dem Verweis auf das Lateinische schreibt,
das pure Leben; das pure »unter Menschen sein« (›inter homines esse‹). Wie aber
gehen wir dieser Tage »unter Menschen«?
Digitales Bürgerschaftliches Engagement: Die
Engagementbereitschaft ist in Krisenzeiten bemerkenswert hoch. Ausschließlich
und überwiegend über das Internet geleistetes Engagement steht dieser Tage hoch
im Kurs. Eindrücklich zeigt das der Hackathon #WirVSVirus, bei dem an diesem
Wochenende (20. bis zum 22. März) mehr als 40.000 Online-Volunteers
an etwa 1.200 Ideen zur Krisenbewältigung arbeiteten. Eindrücklich aber auch die
ungezählten Initiativen und nachbarschaftlichen Aktionen, an denen sich Land
auf Land ab mit Sicherheit noch hundertmal mehr Menschen beteiligen.
Kunst und Kultur im Stream: Nach Absage
zunächst größerer dann aller anderen Veranstaltungen haben große Opern- und
Theaterhäuser begonnen, ihre Aufführungen live zu streamen – die Übertragung von
„Carmen“ aus der Staatsoper Unter den Linden erreichte etwa 160.000 Menschen (Bericht
RBB24).
Und auch freischaffende Künstler, wie Igor
Levit, streamen ›Wohnzimmerkonzerte‹, die zig-tausendfach angesehen werden.
Digitale Normalität: Wie man Home
Office und Remote Work, digitale Konferenzen, Meetings und Workshops organisiert,
war diese Woche eine der ganz wichtigen Fragen. Unzählige Anleitungen und Tool-Sammlungen
schwirren im Netz umher – zum Beispiel die Werkzeugsammlung
auf DRK-Wohlfahrt.de und die Fragen
für die Planung virtueller Events von Kathrin Bischoff. Auch sind mir Einladungen
zu Remote-Meditationen (@joanabp)
und -Stammtischen (@herb37)
zugeflogen.
Ich nenne hier natürlich nur ein paar wenige Beobachtungen
aus meiner ersten Woche im Ausnahmezustand (weitere finden sich in meinem Stream auf Twitter). Ich will
damit die drei Cluster illustrieren, die ich aus daraus gebildet habe. Deutlich
wird so nämlich, wozu Menschen auch remote »unter Menschen« gehen: Sie suchen
sich Gelegenheiten (1) mit anderen zu wirken, (2) Erlebnisse miteinander zu teilen
und (3) ihre Normalität so gut es geht aufrecht zu erhalten.
Zwischenfazit: Zentrale Sujets der Geselligkeit
Normalität, Gemeinschaft und Selbstwirksamkeit habe ich hier
zentrale Sujets (auch) digitaler Geselligkeit identifiziert. In der aktuellen
Krise, nach
der mit Sicherheit vieles anders sein wird als zuvor, aber stellen sich die
Fragen: Doch was ist normal? Wie vergemeinschaften sich Menschen? Und wie erleben
sie Selbstwirksamkeit? Nach einer Woche Ausnahmezustand lassen sich diese Dynamiken
noch nicht ausreichend beobachten. Zumindest aber lassen sich ein paar Fragen formulieren,
die auf die nächste Beobachtungsebene der Interaktionsfelder zielen:
Wie wirkt sich die notwendig explizitere Kommunikation
bei Telefon- und Video-Konferenzen auf das Miteinander aus? Erleben wir durch effizientere
Abstimmung vielleicht mehr Selbstwirksamkeit?
Wie wirken sich die Grenzüberschreitungen
zwischen Privatem und Beruflichem aus? Werden wir uns menschlich näher kommen,
weil wir nun wissen, wie es hinter dem heimischen Schreib-, Wohnzimmer- oder
Küchentisch der Kolleg!nnen aussieht?
Wie wirkt sich ortsunabhängiges Online-Volunteering
auf die Vergemeinschaftung aus? Werden wir mehr unter ›unseresgleichen‹ bleiben
oder den Spagat zwischen Nachbarschaft und (digitalen) Neo-Tribes meistern?
Mit euren Beobachtungen und Fragen, Anmerkungen und
Hinweisen könnt ihr euch hier gern einklinken. Was fällt euch in eurem Umfeld in
Sachen Geselligkeit auf Distanz auf? Nennt gern konkrete Beispiele!
Debra E.
Meyerson forschte seit den 1980er Jahren im Feld des »Organizational Behavior«, einer
Forschungsdisziplin, die sich mit der Wechselwirkung menschlichen Handels, Denkens
und Fühlens mit dem Wandel von Organisationen beschäftigt. In ihren Studien zu
»Tempered Radicalism« beschäftigte sich Meyerson mit dem, was wir heute
»Intrapreneurship« nennen – einer Art positiv konnotierter Abweichung von der ›Norm‹,
die in institutionalisierten Settings (insb. Unternehmen) auf Innovation
und Skalierung für gesellschaftlichen Wandel hinwirken kann.
Auf der Grundlage hunderter Interviews mit »Tempered Radicals« aus ganz verschiedenen Professionen stellt Meyerson fest:
Tempered Radicals exist at all levels in all kinds of organizations. Not only do they exist, but they persist and, to varying extents, succeed. Even if they don’t feel ›radical‹ or have an explicit agenda for change, countless people act as tempered radicals, at least over some portions of their careers and under certain circumstances (S. 18).
Nach Meyerson können »Intrapreneurs« als Mitarbeitende beschrieben
werden, denen die Balance zwischen dem persönlichen Einsatz für die eigenen –
von der hegemonialen Norm in ihren jeweiligen Organisationen abweichende (!) – Werte
und Ideale auf der einen und der Anpassung an die institutionalisierten Settings,
in denen sie agieren, auf der anderen Seite gelingt. Wie Tempered Radicals das
bewerkstelligen und mit welchen Schwierigkeiten sie dabei umgehen müssen, sind
die Fragen, denen sich Meyerson in »Rocking
the Boat – How to Effect Change Without Making Trouble« zuwendet:
What is the right balance to strike? More generally, how do tempered radicals navigate the often murky organizational waters to pursue their ideals while fitting in enough to succeed? How do they successfully rock the organizational boat without falling out (S. 8)?
Strategien für Intrapreneus
In ihren Studien arbeitete Meyerson fünf Strategien heraus, die sich auf einem Kontinuum zwischen den Handlungs- und Verhaltensweisen Einzelner bis zur Organisation gemeinschaftlicher Aktionen verteilen lassen.
The spectrum varies along two primary dimensions. First, it speaks to the immediate scope of impact of a tempered radical’s action. At the far left, only the individual actor and a few people in his or her immediate presence are likely to be directly affected by the action. At the opposite end of the spectrum, tempered radical’s actions are meant to provoke broader learning and change. At the far left, the action is invisible or nearly so and therefore provokes little opposition; at the far right the action is very public and is more likely to encouter resistance (S. 8).
Die Darstellungen Meyersons zu diesen fünf Strategien sind sehr reichhaltig, differenziert und mit zahlreicher Geschichten anschaulich illustriert. Es lohnt sich, den Hauptteil des Buches genau zu lesen. Im Folgenden fasse ich die Strategien, Taktiken und Beispiele nur selektiv und sehr ›freihändig‹ zusammen.
Stiller Widerstand
In institutionellen Settings, in denen offener Widerstand die
Mitgliedschaft in der Organisation zu gefährden droht, kann der Weg des stillen
Widerstands sinnvoll sein. Wenngleich hier die Abweichungen von der Norm ›nur‹
über Stilmittel zum Ausdruck gebracht werden, zeitigt die Strategie des stillen
Widerstands doch einige Wirkung: Über die Sprache – geschrieben oder gesprochen
– lassen sich Themen beispielsweise anders framen und über alternative
Kleidungs- und Dekorationsstile individuelle Freiheiten betonen.
In Angriff genommen werden mit der Strategie des stillen
Widerstands die ungeschriebenen Gesetze der informalen Seite einer Organisation
– Gesetze also, die sich brechen lassen, ohne ein formales Konditionalprogramm
(Wenn-Dann-Regel) auszulösen, das die eigene Mitgliedschaft gefährdet, wie es
vielleicht Diebstahl tut (zu den drei Seiten einer Organisation siehe Kühl 2011: 89ff; zu
Konditionalprogrammen siehe ebd. 103f.).
Doch auch wenn es ›nur‹ um Stilbrüche geht, ist der stille Widerstand nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Ungeschriebene Gesetze entfalten in Organisationen durchaus mächtige Kräfte, die zur Konformität zwingen. Meyerson weist deshalb explizit auf die psycho-sozialen Implikationen dieser Strategie hin. Grundlegend für den stillen Widerstand ist ihr zufolge die Aufrechterhaltung eines positiven Selbst-Bildes.
Gelegentliche Konfrontation
Wenn unterschiedliche Menschen miteinander arbeiten, sind persönliche
Konflikte nicht zu vermeiden. In institutionalisierten Settings werden sie
üblicher Weise über Hierarchien und Zuständigkeiten verhandelt. Die Strategie
der gelegentlichen Konfrontation setzt hier an – nicht in dem Sinne, dass
Streit vom Zaun gebrochen, sondern in dem, dass Konflikthemen gekonnt angesprochen
werden.
It is crucial to make clear that most conflicts are not created by tempered radicals; but tempered radicals are often the ones who speak ›truth‹ and raise issues that have been suppressed (S. 76).
Meyerson beschreibt unterschiedliche Taktiken, die Tempered Radicals hierfür situativ nutzen – von der Unterbrechung des Redeflusses, über die konkrete Bezeichnung des Konfliktes bis zur zeitlichen Verschiebung der Diskussion darüber (S. 61f.). In einem früheren Artikel zu »Radical Change, the Quiet Way« fasst sie diese Taktiken anschaulich als »Verbal Jujitsu« – einem rhetorischen Dreh, bei dem eine Aussage auf ihre Quelle zurückgeworfen wird– zusammen.
»Verbal Jujitsu«
Tom Novak, an openly gay executive who worked in the San Francisco offices of a large financial services institution, […] and his colleagues began seating themselves around a table for a meeting in a senior executive’s large office. The conversation briefly turned to the topic of the upcoming Gay Freedom Day parade and to so-called gay lifestyle in general. Joe, a colleague, said loudly, »I can appreciate that some people choose a gay lifestyle. I just don’t understand why they have to flaunt it in people’s faces.«
Stung, Tom was tempted to keep his mouth shut and absorb the injury, but that would have left him resentful and angry. […] Instead, he countered Joe with an altered version of Joe’s own argument, saying calmly, »I know what you mean, Joe. I’m just wondering about that big picture of your wife on your desk. There’s nothing wrong with being straight, but it seems that you are the one announcing your sexuality.«
Systemisches Verhandeln
Oft wurzeln Konflikte, die persönlich scheinen, tiefer im System.
Sie haben nicht selten mit den mentalen Modellen (Peter M. Senge) oder den –
auch architektonischen – Strukturen von Organisationen zu tun. Die Strategie
des systemischen Verhandelns setzt entsprechend ähnlich wie die der
gelegentlichen Konfrontation bei Konflikten an, verhandelt diese aber nicht situativ
sondern versucht an die Wurzel zu gehen.
One of the most important ways tempered radicals make a difference is by transforming problems that seems personal and local into issuses with broader and more complex implications (S. 99).
Meyerson beschreibt hierfür vier Ansätze, die den akuten Konflikt
abkühlen und helfen, systemisch wirkende Lösungen zu finden (S. 80):
»Stepping back«: Um einen Überblick über die Tragweite von Konflikten zu erlangen, ist ein Schritt zurück zu gehen eine gute Option. Sie gibt Zeit, die Situation gründlich zu analysieren und über ihre ›wahren‹ Gründe nachzudenken.
»Looking inward«: Um sich seiner eigenen Motive und Ängste bewusst zu werden, hilft auch der Blick nach ›innen‹. Eine Nacht oder zwei über die Sache zu schlafen, hilft bekanntlich Wunder, um sich sein ›echtes‹ Anliegen (wieder) ins Bewusstsein zu rufen.
»Taking stock of the other person’s interests«: Um Konflikte konstruktiv und im Sinne der eigenen Anliegen zu lösen, ist es wichtig, sich die Interessen und Wünsche des jeweiligen Gegenübers zu vergegenwärtigen. Auf dieser Grundlage lassen sich ›goldene Brücken‹ in eine für beide Seiten positive Zukunft bauen.
»Using third parties«: Um möglichst viele Informationen über die Wurzeln des Konfliktes zu bekommen und das größere Ganze besser zu verstehen, ist es sinnvoll, sich an Dritte zu wenden. Sie können die Situation ›von außen‹ betrachten oder – wie es im Coaching üblich ist – (Denk-) Räume für die Exploration öffnen.
Skalieren kleiner Erfolge
Im Arbeitsalltag ergeben sich dann und wann kleine Gelegenheiten
für systemische Veränderungen: Der Nudge, die Standardeinstellung
der Drucker auf Duplex zu stellen, ist hierfür ein gutes Beispiel aus der IT. Mit
einem kleinen Dreh wird massenhaft Papier gespart. Wer in der Lage ist, solche
Gelegenheiten zu nutzen, kann mit der Strategie der Skalierung kleiner Erfolge
wirklich großes bewirken.
It is a conscious strategy for living in line with values and effecting change without directly confronting the system in an open and aggressive manner (S. 102f.)
Was es zunächst für kleine Erfolge braucht, beschreibt Meyerson (S. 106ff.) in fünf zentralen Punkten:
»Maintain a ›blurry vision‹«: Grundlegend ist,
ein eigenes Anliegen zu formulieren, das den Weg zum Ziel – ja sogar das Ziel
selbst – nur grob umreißt. Das ermöglicht Flexibilität.
»Create opportunities in the details«: Der
Teufel liegt, wie man sagt, im Detail – im Detail alltäglicher Routinen – den besten
Hebelpunkten für systemische Veränderung.
»Challenge your sense of organizational
tolerance«: Das ›organizational
immune system‹, lässt sich mit kleinen Innovations-Dosen über die Zeit
desensibilisieren.
»Scope and time your challenges wisely«: Auch
kleine Gelegenheiten für systemische Veränderungen sind rar gesät. Kämpfe keine
Kämpfe, die sich nicht gewinnen lassen!
»Design small wins to generate learning«:
Kleine Gelegenheiten bieten manchmal große Lernchancen. Beobachte genau die auch
nicht intendierten Nebenfolgen kleiner Veränderungen.
Daran anschließend zeigt Meyerson (S. 110ff.), wie sich mit der richtigen Sprache und guten Geschichten diese kleinen Erfolge innerhalb von Organisationen skalieren lassen. Kurz zusammengefasst: Nicht die (überschaubare) Wirkung kleiner Erfolge sollte erzählt werden sondern ihr Skalierungspotential.
Gemeinsame Aktionen organisieren
Kleinere Gruppen und ›Cliquen‹ sind in Organisationen an der
Tagesordnung. Sie sprechen in der Regel die Bedürfnisse an, die von der
formalen Seite der Organisation nicht adressiert werden (vgl.
Luhmann 2016: 16). Solcherlei informale Netzwerke sind
durchaus wirkmächtig. Sie bilden einen wesentlichen Teil des ›organizational
immune system‹, das zum Zweck hat, unsinnige Veränderung zu verhindern. Mit der
Strategie der Organisation gemeinsamer Aktionen können Tempered Radicals
versuchen, dies umzukehren und Netzwerke für positiven Wandel zu mobilisieren.
It stands to reason that people can drive large-scale immediate change more effectively by working in concert with others toward a common goal, particulary when they do not have formal authority or mandate the desired change (S. 123).
Was es nach Meyerson für die Organisation gemeinsamer Aktionen braucht, sind gute Gelegenheiten (»threads or opportunities«), potentiell nutzbare Strukturen und ein geeignetes Framing (S. 136f.). Insofern gemeinsame Aktionen abseits von Hierarchien und Zuständigkeiten organisiert werden, sind für diese Strategie die Grundsätze des ›Lateral Leadership‹ von zentraler Bedeutung: Es geht um ›Verführen statt Verpflichten‹, um motivierendes Feedback, um persönliches Wachstum und um gegenseitiges Vertrauen.
Hürden für Intrapreneus
Wenn Intrapreneurs auf der Grundlage ihrer persönlichen, von der
›Norm‹ abweichenden, Werte und Ideale strategisch agieren, um abseits von
Hierarchie und Zuständigkeit Wandel in Organisationen zu bewirken, kann es
nicht überraschen, dass sie auch einen persönlichen Preis für ihr Engagement zu
bezahlen haben:
Plenty of tempered radicals express their different selfs, resist expectations, and challenge prevailing practices ony to find themselfs without a job or last in line for promotion (S. 143).
Kurz: Intrapreneurship ist kein Karrierebooster oder ein sonderlich
bequemer Weg durch das Berufsleben. Viele der Tempered Radicals, die Meyerson
befragte, berichteten von Ängsten, Schuldgefühlen und Einsamkeit, von Vorwürfen
der Heuchelei und langwierigen Balanceakten, von Reputationsschäden,
Frustration und (manchmal auch) Burnout (S. 143ff.). Was sie im Job hält, ist
einerseits ihre Leistungsfähigkeit und andererseits ihre Überzeugung davon, am
richtigen Platz zu sein, um im Sinne ihrer Werte und Ideale wirken zu können.
Für die kritische Prüfung dieser Überzeugung formuliert Meyerson
abschließend neun Fragen in drei verschiedenen Kategorien (S. 160):
Kulturelle
und subkulturelle Unterstützungspotentiale
Wie groß ist der Unterschied zwischen deinen
und den ›normalen‹ Werten und Idealen, die du verändern willst?
Gibt es Communities (»subcultures«), die deine
Werte und Ideale mittragen oder unterstützen?
Welche Kosten hast du zu zahlen, wenn du dich
nicht konform zu den ›normalen‹ Werten und Idealen verhältst?
Demographische
Zusammensetzung (in Relation zur Größe der Organisation)
Wie viele Menschen sind wie du in deiner
Organisation?
Wie viele Menschen sind wie du in deinem
Arbeitskontext?
Wie viele Menschen sind wie du in Führungsverantwortung?
Organisationskulturelle Legitimität
Wie legitim sind deine Themen in deinem Umfeld (Organisation / Arbeitskontext)?
Passen die alltäglichen Verlautbarungen in deinem Umfeld zur täglichen Praxis?
Wie sicher fühlst du dich, über deine Themen zu sprechen und Probleme zu benennen?
Fazit: Innovation & Skalierung kommt von innen
Gleichwohl Debra Meyersons »Rocking the Boat« ohne die Anhänge zur Studie kaum 180 Seiten lang ist, habe ich doch einige Zeit daran gelesen. Einerseits, weil Meyersons Sprachstil für mich etwas ungewohnt war, andererseits, weil ich kreuz und quer immer wieder Hinweise auf die Aktualität der Inhalte entdeckte, mich darin vertiefte und dann wieder neu einsteigen musste. So habe ich mich beispielsweise recht intensiv mit der Bedeutung und Wirkung individueller und geteilter Anliegen (»Purpose«) für Innovation und Skalierung beschäftigt…
Mein zentrales Fazit aus »Rocking the Boat« allerdings betrifft
die Frage ob sich Innovationen von außen in Organisationen tragen und dort
skalieren lassen: Geneigte Leser!nnen meines Blogs werden es ahnen: Nein! Zumindest
nicht im Sinne des »Tempered Radicalism« zur Organisationsentwicklung für mehr gesellschaftliche
Wirkung (vgl. Seelos/Mair
2017).
Sowohl die Entwicklung eigener als auch die Skalierung externer
Neuerungen sind Innovationsprozesse mit allen dazugehörigen Unsicherheiten und Widerständen.
Das ›organizational
immune system‹ habe ich hier mehrfach angesprochen. Die genannten Strategien,
die Intrapreneurs für derartige Prozesse verfolgen können, sind durchaus
wirksam, haben allerdings ihren ›Preis‹. Und weil Intrapreneurs diesen Preis zu
einem großen Teil selbst bezahlten müssen, stellt sich die Frage, warum sie sich
auf irgendwelche Skalierungs-Abenteuer mit externen Playern einlassen sollten.
Diese zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie nicht in die
institutionellen Settings eingebunden und deshalb recht unsensibel gegenüber
den Kosten sind, die solche Innovationsprozesse verursachen.
Zugegeben: Es gibt einige Beispiele für erfolgreiche Kooperationen, bei denen Innovationen für mehr gesellschaftliche Wirkung skaliert wurden. Und die sind auch toll! Viel mehr Beispiele gibt es allerdings für Innovationsprozesse innerhalb von Organisationen. Und das liegt eben daran, dass Intrapreneurs die Balance zwischen Konformität und Abweichung, Beständigkeit und Veränderung meistern und dadurch auch im Stande sind die oft langwierigen Organisations- und Personalentwicklungsprozesse zu begleiten.
tl;dr: Innovation von innen lässt sich strategisch bewirken. Das aber hat seinen Preis, den Intrapreneurs zu zahlen bereit sein müssen.
Wieder ein Jahr vorbei – schon das Dritte im Zeichen sozialer Innovation und Digitalisierung im DRK. Ganz unterschiedliche Dinge haben mich 2019 beschäftigt: die post-digitale Gesellschaft, Innovation für Inklusion, Intrapreneurship in der Sozialwirtschaft und natürlich Soziale Medien in der Wohlfahrt. Einzelne Themen, wie »neue Emotionalität«, kamen dazu, viele andere, wie Soziale Medien in der Wohlfahrt und Intrapreneurship in der Sozialwirtschaft, beschäftigen mich schon länger. Bei den neuen Themen standen die Erkundung und der Dialog im Vordergrund bei den anderen ging es 2019 vor allem um eines: ›Skalierung‹.
Über Skalierung: Mit Skalieren (engl. to scale up) ist in der Regel das Großziehen eines Projektes oder Business gemeint. In einer etwas breiteren Fassung wird auch der Transfer von Wissen, Ideen und Konzepten dazugezählt, weil hier die Wirkung großgezogen wird. Ich meine mit Skalierung allerdings auch das Einflechten von Innovationen in die Wirkungsketten – die »impact creation logic« oder die »Zweck-Mittel-Ketten« – einer Organisation, die so einen größeren Impact in ihrem ›Kerngeschäft‹ erzielen kann. > Mehr dazu
Bühne 1: #ZukunftWohlfahrt
Ich muss gestehen, #ZukunftWohlfahrt war nicht mein Favorit für den DRK-Kongress »Wandel. Weitsicht. Wohlfahrt«. Ich fand #www19 cooler! Allerdings habe ich mich überzeugen lassen, dass ein kanalübergreifender Marker – oder eine ›Metaplattform‹ – für Zukunftsthemen der Wohlfahrt (a) nicht zu nerdig und (b) auf keinen Fall nur auf ein Jahr beschränkt sein darf.
Mehr als 30 Accounts haben bislang unter #ZukunftWohlfahrt getwittert und sieben auch Inhalte auf LinkedIn veröffentlicht. Zum Vergleich: Der erste Versuch, mit #DRKdiscuss von September 2015, einen solchen Marker zu schaffen, zählt bislang nicht einmal zehn Accounts.
Nun mag man einwerfen, dass jede Idee hat halt ihre Zeit hat. Und: #DRKdiscuss hatte ja auch Vorteile (z.B. war er nicht allein auf die Wohlfahrt limitiert). Sicher ist das auch richtig. Skaliert hat aber #ZukunftWohlfahrt, weil es mehr war als eine nette Idee unter Social Media Menschen im DRK. Es war Teil einer größeren »impact creation logic«, die auf neue Impulse für die Sozialwirtschaft anlegt.
Bühne 2: re:publica 2019
Mit etwa drei Wochen Vorlauf bot sich 2019 Jahr die Chance für einen Stand mit Lightning-Talk auf der Digital-Konferenz re:publica. Seit Jahren frage ich mich, wer aus der Wohlfahrtspflege hierhin den ersten Schritt macht. Mitte April stand fest: Das DRK!
Der Zeitplan war natürlich sportlich. Standkonzept und Material lagen jetzt nicht eben in irgendeiner Schublade. Aber das DRK wäre ja nicht das DRK, würde es nicht in Windeseile einen stabilen Auftritt hinbekommen. Die KoWos kümmerten sich um Konzept und Inhalt, ich um Material, Abstimmung und Orga. Und: Es gelang!
Full House beim Lightning-Talk des DRK
Mit einer Crew von etwas mehr als zehn Leuten stellten wir mit Rotkreuz-Zelten und Feldbetten aus der DRK-Vorhaltung in Schöneberg die ›unbequemste Lounge der Welt‹ auf die Beine. Das Berliner Rotkreuz-Museum steuerte noch einen schmucken Bulli bei und Playmobil durfte natürlich auch nicht fehlen.
So war die Bühne bereitet und wir skalieren die Sichtbarkeit des DRK als Player in der digitalen Gesellschaft. Keine einzige Broschüre hatten wir dabei. Allein mit Workshop-Material und guten Ideen traten wir an, um über die Gestaltung der Gesellschaft von Morgen zu sprechen.
Besonders gut funktioniert hat dabei der »GIF-Generator« – ein Aktionsangebot, das zu pantomimischen Spiel einlud und das DRK in den Twitter-Stream der Konferenz trug: Mehr als 30 GIFs wurden unter #rp19 vertwittert, geliked und geteilt. Mehrere tausend Interaktionen und ein anständiger Peak in den Statistiken der DRK-Wohlfahrt.de waren die Folge.
Bühne 3: DRK-Wohlfahrt.de
Über den Relaunch der DRK-Wohlfahrt.de habe ich Anfang des Jahres viel gesprochen und geschrieben. Das Projekt sucht seinesgleichen: Aus einem recht behäbigen Fachportal entstand eine Plattform für Mitarbeitende der Wohlfahrtspflege im DRK und ihren Themen, das eindrücklich die Vielfalt des Bereichs zeigt.
Funktionen wie das Publikations- und Veranstaltungsverzeichnis der DRK-Wohlfahrt.de gehörten schon länger zu den Routinen der Arbeit vieler im Bereich. Skaliert haben wir 2019 vor allem den Blog, in dem nun durchschnittlich drei bis fünf Beiträge pro Woche veröffentlicht werden.
Ein Gros der Mitarbeitenden des Bereichs hat 2019 mindestens einen Beitrag veröffentlicht – und zwar selbstständig und eigenverantwortlich. Die öffentliche Berichterstattung über unsere Arbeit ist von den Führungskräften gewünscht und wird mittlerweile auch über die größeren Kanäle des DRK publik gemacht.
Was wir 2019 mit der DRK-Wohlfahrt.de also skalierten war nicht nur die Sichtbarkeit der DRK-Wohlfahrt im sozialen Netz sondern auch die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung beim ›Talk the Walk‹ sowie die bereichsübergreifende Zusammenarbeit.
Bühne 4: Intrapreneurship
Nachdem im August 2018 die erste »Intrapreneurship-Tagung« des DRK in Kassel über die Bühne ging, sind zwei Dinge klar: Der Begriff »Intrapreneurship« ist kein geläufiger oder besonders beliebter. Und: ›Intrapreneurs‹ gibt es im DRK einige. Trotz Sommer und Urlaubszeit machten sich rund 60 Kolleginnen und Kollegen aus dem ganzen Bundesgebiet auf den Weg, um mit uns zusammen Design Thinking auszuprobieren und zu Wirkungsorientierung und Transfer zu workshoppen.
Auch wenn wir sie öffentlich nicht mehr so nennen wollen, wollten wir 2019 den eingeschlagenen Weg der Unterstützung von ›Intrapreneurs‹ im DRK weitergehen. Auf der Grundlage der Erfahrungen aus dem Innovationslabor und der Arbeit im DRK-Bundesverband sollte etwas entstehen, dass ihnen vor Ort bei ihrem Engagement hilft. Die erste Idee: ein Workbook.
Um die Inhalte und die Struktur dieses Worksbooks zu erarbeiten stelle ich gemeinsam mit René, einem Kollegen aus Hamburg, der das Innovationslabor für seine Masterarbeit unter die Lupe nahm, ein Expertinnen-Team mit Know How in Sachen Methoden, systemisches Wirken, Wissenschaftskommunikation und jeder Menge Innovations-Praxis von Bundes-, Landes- und Kreisverbansebene zusammen. Gemeinsam fuhren wir zu einem Partnerworkshop mit dem Cambridge Centre for Social Innovation an der Judge Business School der Cambridge University und scribbelten was das Zeug hielt.
How to handle »wicked problems«
Von viel Skalierung kann ich an dieser Stelle noch nicht berichten. Nicht etwa, weil wir in Cambridge zu keinem Ergebnis gekommen wären – ganz im Gegenteil: Was dort an Inhalten entstand, ist beeindruckend! Vielmehr haben wir bei der Diskussion unseres ersten Prototypen festgestellt, dass ein Workbook wohl kaum die anvisierte Zielgruppe der ›Intrapreneurs‹ vor Ort erreicht. Aber auch das ist natürlich Teil des Skalierungsprozesses, für den man sich ja bekanntlich von dem frei machen muss, was man zu wissen glaubt.
Bühne 5: Innovation für Inklusion
Ein zweites Skalierungsprojekt, das aus den Erfahrungen und Erkenntnissen mit der Innovationsförderung im DRK schöpft, ist »Innovationsscouting für Inklusion«. Das Ziel dieses mehrjährigen Modellprojektes ist es, die alltägliche Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und anderen Teilhabeeinschränkungen ganz praktisch vor Ort zu verbessern. Kein wirklich neues Anliegen des DRK aber eben ein neuer Ansatz. Der Aufbau und die Pflege von ›Innovations-Communities‹ beziehungsweise die aktive Beteiligung in einem ›Innovations-Ökosystem‹ für Inklusion ist eine Art Adaption dessen, wie wir uns unser Wirken im DRK-Bundesverband vorstellen.
Ein Novum auch die von der Aktion Mensch Stiftung geförderte recht intensive Planungsphase, in der die Projekt-Idee gemeinsam mit den künftigen Standorten sowie Menschen mit Behinderungen und künftigen und aktuellen Partnerinnen und Partnern weiterentwickelt wurde. Auch für diesen Netzwerk-Ansatz der Projektentwicklung war die Arbeit der letzten Jahre sehr gewinnbringend. Nicht nur, weil viele Gesprächspartnerinnen und -partner bereits bekannt waren, sondern auch, weil ganz praktisch deutlich wurde, warum es sich lohnt in solche Netzwerke zu investieren.
Und auch damit nicht genug! Mittlerweile gibt es im DRK drei Teams mit drei Moderator!nnen, die den Cross Media Day bereits gehostet haben und das BarCamp-Format entsprechend auch in anderen Themenbereichen spielen können. Führungskräfte von ganz unterschiedlichen Verbandsebenen haben das Format kennen und schätzen gelernt. Und auch immer mehr Haupt- und Ehrenamtliche aus dem DRK heben nicht mehr die Hand, wenn die obligatorische Frage gestellt wird, wer denn zum ersten Mal an einem BarCamp teilnimmt.
Nicht vergessen: Applaus!
Hinter den hier gemalten Bühnen freilich steckt jede Menge Arbeit, die man auf dem Weg durch den digitalen Wandel nicht scheuen darf. Und nicht alles läuft völlig ruckelfrei. Das ist klar! Innovation ist nichts für Feiglinge. So wie hier besehen war das Jahr 2019 aber durchaus ein erfolgreiches.
Wir haben einiges auf die Beine oder auf die Schienen gestellt. Und wenn ich schreibe »Wir« meine ich das auch so: Ohne die Führsprecher!nnen, die Unterstützer!nnen, die Mit- und Möglichmacher!nnen, ohne das CMD-Team aus Düsseldorf, das InnoScout-Team aus Mainz und Münster, die #rp19- und die Cambridge-Crew wie auch die (micro-)bloggenden Kolleg!nnen aus dem DRK-Bundesverband – jenen also die sich auf neue Pfade trauen und die anfängliche (Mehr-)Arbeit nicht scheuen – wären all die tollen Ideen und Konzepte nicht das Papier wert, auf denen sie geschrieben stehen.
Also bitte einen kräftigen Applaus für die, die es möglich machen!
Das große Schlagwort dieser Tage heißt »Digitalisierung« – ein Wort, mit dem wir viele Facetten des Wandlungsschubs geklammert bekommen, der die Gesellschaft seit einiger Zeit mächtig durchschüttelt. In der Zivilgesellschaft – aber auch anderswo – wird viel über Nutzung und Gestaltung der Digitalisierung gesprochen; ganz so als sei sie eine unabhängige Variable gesellschaftlichen Wandels. Das ist sie aber nicht! Im Grunde wird mit »Digitalisierung« nichts anderes bezeichnet als die beschleunigte Fortschreibung der Wandlungsprozesse moderner Gesellschaften, die schon lange laufen.
Man kann sich nun Gedanken darüber machen, wohin uns dieser Wandel führt. In seiner linearen Fortschreibung kämen wir recht schnell zu ökologischen, ökonomischen und humanitären Katastrophen globalen Ausmaßes und zum Ende der Welt. Wir können uns aber auch Gedanken darüber machen, wie wir diesen Wandel gestalten wollen – oder besser: was ›am Ende‹ dabei rauskommen soll. Eben dazu lädt »D3 so geht digital« in der aktuellen Nonprofit-Blogparade ein.
Wen es interessiert … Die NPO-Blogparade ist ein Format des teilstrukturierten Austausches unter Bloggerinnen und Bloggern mit dem Fokus auf gemeinnützige Themen. Auf Initiative eines »Host-Blogs« (in diesem Fall »D3 so geht digital«) steuern Interessierte Beiträge zu einer Fragestellung bei, die sich mit dem Nonprofit-Sektor im weitesten Sinne befasst. Nach einer gewissen Zeit werden die mit dem »Host-Blog« verlinkten Beiträge auf diesem zusammengefasst und rückverlinkt, sodass sowohl die Inhalte der Blogparade als auch das Netzwerk der Beteiligten zugänglich gemacht wird.
(Digitale) Entwicklungsziele für die Zivilgesellschaft
Den gesellschaftlichen Wandel vom ›Ende‹ her zu denken, heißt natürlich nicht, dass wir irgendwann damit fertig werden könnten, ihn zu gestalten. Ganz im Sinne Hans Blumenbergs Schiffbruch-Metapher gibt es keinen Hafen, in dem wir irgendwann ankommen könnten. Es gibt nur Anliegen oder Fixsterne, denen wir beim Treiben im Meer folgen können, um die Orientierung nicht zu verlieren. Die Ära dieses gemeinschaftlichen Treibens im Meer der Möglichkeiten bezeichne ich gern als »postdigitales Zeitalter«, ein Zeitalter, in dem die techno-sozial beschleunigte VUCA-Welt die neue Normalität ist.
Anregend für die folgenden Impulse zu möglichen Entwicklungszielen der Zivilgesellschaft – den »Digital Development Goals« – war vor allem die Trendstudie »Hands on Digital« des Frankfurter Zukunftsinstituts. Die Autorinnen und Autoren um Harry Gatterer stellen dem Aktionismus dieser Tage (›Wir müssen auch möglichst schnell digital werden‹) eine »digitale Pragmatik« gegenüber, mit der sie vor allem Fragen nach Identität, Führung, Innovation, Kooperation und Hybridität betonen – zentrale Sujets auch für Organisationen der Zivilgesellschaft.
Future Code: wir erkennen uns selbst
Der große Bauchladen mit allerhand temporären Anbauten gehört der Vergangenheit an. Wir wissen ganz genau, warum wir da sind, was wir wollen und wie wir arbeiten. Und wir können es ganz klar artikulieren. Wir grenzen uns nicht affektiv von anderen ab. Wir suchen Partnerschaften und Kooperationen zur Ko-Kreation, die zu uns passt.
Wir stellen uns selbstverständlich Fragen wie diese: – Wo kommen wir her, was war unsere ursprüngliche Idee? – Was ist das konkrete Problem das wir lösen wollen? – Wie packen wir Chancen und Herausforderungen alltäglich an?
Leadership 4.0: Führung von der Quelle des Handelns
Law & Order war gestern. Wir verstehen, die Kreativität, die Intuition und die Erfahrung unserer Mitstreiterinnen und Mitstreiter als unseren größten Ressourcenschatz. Wir schätzen die Vielfalt der Perspektiven auf dem gemeinsamen Weg und schaffen Räume für den freien Fluss des Wissens. Empathie und systemisches Denken sind dabei unsere wichtigsten Werkzeuge.
Wir stellen uns ganz selbstverständlich Fragen wie diese: – Was kann ich von anderen lernen? – Warum tun Menschen was sie tun genauso wie sie es tun? – Wie wirkt das Tun einzelner auf das Tun vernetzter anderer?
Learning by Doing: pragmatisch Schritt für Schritt
Die Zeit der langen Planung von Maßnahmen und Meilensteinen ist vorbei. Wir arbeiten ›agil‹, in iterativen Schleifen. Unser Anliegen und unsere Ziele stets vor Augen tun wir Schritt für Schritt, was möglich ist, auf dem Weg nach vorn. Die Möglichkeiten erschließen wir uns dafür aus dem Feedback von außen und innen, der Ebene intersubjektiver Realität.
Wir stellen uns ganz selbstverständlich Fragen wie diese: – Wer reagiert wie und warum auf das was wir tun? – Welche Möglichkeiten ergeben sich für den nächsten Schritt? – Wie fühlt sich die Vorstellung des nächsten Schrittes an?
Digitale Erleuchtung: wir gehen ›OMline‹
Große Versprechungen ziehen im postdigitalen Zeitalter nicht mehr. Wir schauen genau hin und fragen uns, was dran ist an den Thesen. Der angstfreie, analysierende Blick und der Abgleich mit den eigenen Anliegen bestimmt unsere Wahrnehmung dessen, was neu und anders ist. Wir sehen das Neue und Andere neugierig an, laufen aber nicht jedem Bimmeln hinterher.
Wir stellen uns ganz selbstverständlich Fragen wie diese: – Wie lautet die These hinter dem Nutzenversprechen digitaler Tools? – Welches Problem lässt sich mit neuen Werkzeugen besser lösen als mit alten? – Wie lassen sich einzelne (digitale) Lösungen in unser Wertesystem integrieren?
Mit den so formulierten Entwicklungszielen stelle ich vor allem ›soft skills‹ in das Zentrum unserer Bemühungen auf dem weiteren Weg im digitalen Wandel. Bei Diskussionen über derartige Vorschläge bekomme ich häufig zu hören, dass das doch alles ein wenig »esoterisch« klinge. Und das ist auch nicht von der Hand zu weisen! Umso wichtiger wird es deshalb sein, dass sich auch die Wissenschaft über ihre Rolle im postdigitalen Zeitalter verständigt. Es möge kein postfaktisches werden.